Karate und Gesundheit

 

Ob als Ausgleichssport, zur allgemeinen Fitnesssteigerung oder als Selbstverteidigungstechnik, auch im Wettkampf - Karate eröffnet allen Altersgruppen und Interessenlagen ein breites sportliches Betätigungsfeld.

Dies insbesondere in einer Zeit, in der der Prävention von Herz-Kreislauf-, Bewegungsapparats- und anderer Erkrankungen durch körperliche Bewegung in der Medizin vermehrt Bedeutung beigemessen wird. Leider finden wir uns in einer Zeit zunehmenden Übergewichts und zurückgehender Fitness in der deutschen Bevölkerung, z.T. schon im Kindesalter.

Die WHO ( World Health Organisation) Weltgesundheitsorganisation erkennt Karate als therapeutische Disziplin an.

Positive Wirkungen des Karate-Trainings
Durch das regelmäßige Karate-Training und ohne Einsatz spezieller Trainingsgeräte werden die folgenden konditionellen und Bewegungs-Eigenschaften verbessert:

  • Kraft
  • Schnelligkeit
  • Ausdauer und
  • Flexibilität

Diese Eigenschaften werden – übertragen – nicht nur von unserem Körper, sondern auch dem Geist abverlangt, und auf sie wird im Einzelnen noch einmal am Ende des Abschnitts eingegangen. Außerdem kommt es zum Erhalt und zur Verbesserung der Funktion unseres:

  • Herz-Kreislauf-Systems,
  • Stoffwechsels (heißt auch: Energiebereitstellung für die Muskulatur),
  • Bewegungsapparats (Knochen, Bänder, Muskeln, Sehnen) und der
  • Sinnesorgane (Konzentration, Reaktion u.a.).

Darüber hinaus kommt es durch sportliche Betätigung allgemein u.a. auch zur Stärkung des Immunsystems, zum Stressabbau mit messbarem Rückgang verschiedener Stresshormone, zur Regularisierung des Schlafverhaltens, zur Stärkung des Selbstbewusstseins und damit zur Steigerung der Lebensfreude und des Wohlbefindens.

Die Wiederholung der Bewegungen, in der "Grundschule" (Kihon) und der "Form" (Kata) wird an verschiedenen Stellen als aktive Meditation betrachtet, durch die das "Qi", die Lebensenergie des Körpers, gestärkt und zum harmonischen Fliessen gebracht werden kann.

Das Karate-Training ist in seiner praktizierten Unterrichtsform ein Intervalltraining.
Rhythmische Unterbrechungen höherer Trainings-Intensität durch geringere Beanspruchung oder kurze Ruhephasen ergeben sich auch durch Erklärungen oder Einweisung in folgende Übungen durch den Trainingsleiter. In diesen Zeiten sind kurze Regenerationsphasen möglich, wobei typisch für das Intervalltraining ist, dass keine volle Erholung stattfindet.
Dadurch wird ein Training über längere Zeiträume möglich, in der eine stärkere Ermüdung vermieden wird. Der Milchsäurespiegel im Blut bleibt niedriger als bei einer Trainingsform ohne Intervalle aber gleicher Gesamtleistung, und die Gesamtstoffwechselleistung steigt an, aerob wie anaerob. Die Kombination von eines Intervalltrainings im hohen Belastungsbereich (oberhalb der aerob-anaeroben Schwelle) sowie mit regelmäßigen Trainings im aeroben Bereich stellt einen Trainingsreiz sowohl für die „schnellen“ wie „langsamen“ Muskelfasern dar.
Zur Optimierung der reinen allgemeinen aeroben Leistungsfähigkeit ist allerdings eine Dauerbelastung an der aerob-anaeroben Schwelle überlegen, so dass ein das Karatetraining begleitendes Ausdauertraining empfohlen wird.

- Kräftigung
Im Karate-Training kommt es sowohl beim Aufwärmtraining als auch im Hauptteil des Trainings zur muskulären Kräftigung. Der ganze Körper wird gleichermaßen trainiert, was Fehlhaltungen und – Bewegungsschemata im aktiven und passiven Bewegungsapparat vorbeugt. Gearbeitet wird mit dem eigenen Körpergewicht und der Wechsel von Anspannung und Entspannung ist besonders wichtig. Die Kräftigung der Muskulatur entlastet Gelenke und Wirbelsäule und setzt Verschleißerscheinungen herab. Im Übrigen werden alltägliche Tätigkeiten erleichtert. Es gibt ein intensives Biofeedbacksystem zwischen Muskel, Muskelstoffwechsel sowie best. Gehirngebieten (v.a. des limbischen Systems), mit entsprechend positiven psychischen Auswirkungen.
Falls zusätzlich Krafttraining mit Geräten betrieben wird, sind für das Karatetraining v.a. Kräftigungsübungen für die Haltemuskulatur des Rumpfes sowie Muskeln um Knie- und Schultergelenk relevant.
Von der AHA/ACSM (u.a. der amerikanischen Gesellschaft für Herzmedizin) werden für Erwachsene generell "mindestens 2x/Woche" Aktivitäten empfohlen, die die "Muskelkraft und –ausdauer erhöhen". Gewicht bzw. Widerstand sollten so gewählt werden, dass 2x10 Wiederholungen möglich sind und "die großen Muskelgruppen" angesprochen werden.

- Schnelligkeit
Faktoren der Grundschnelligkeit wie Reaktionszeit und maximale Kontraktionsgeschwindigkeit gehen schon jenseits des 30. Lebensjahres zurück. Sowohl der Grundschnelligkeit als auch der Schnelligkeitsausdauer ist die dominierende anaerobe Energiebelieferung gemeinsam. Das bedeutet: Starke Milchsäureproduktion mit Anstieg ungünstiger Stoffwechselparameter und hoher Belastung für den Kreislauf. Ein Intervall-Training, wie beschrieben, kann hier unterstützend wirken und negative Effekte abfedern helfen, die Schnelligkeit von Bewegungen wird messbar gesteigert.

- Ausdauer
Ausdauer bedeutet die Fähigkeit, eine gegebene Leistung über einen möglichst langen Zeitraum halten zu können. Unter der lokalen Muskelausdauer verstehen wir die Ausdauer einer kleinen umschriebenen Muskelmasse. Die lokale aerobe dynamische Muskelausdauer ist für die Präventivmedizin, die Bewegungstherapie, die Rehabilitation sowie den Leistungssport gleichermaßen von Bedeutung und eine trainingsbedingte Verbesserung der lokalen Ausdauer beeinflusst qualitativ wie quantitativ den Blutkreislauf mit Entlastung des Herzens und den Stoffwechsel und führt zu einer Ökonomisierung der Lebensvorgänge. Sämtliche oben beschriebenen positiven Effekte gehen maßgeblich auf die trainingsbedingte Ausdauersteigerung zurück.
Von der AHA/ACSM werden für Erwachsene generell empfohlen: Eine moderate, ausdauerorientierte körperliche Aktivität an 5 Tagen der Woche, mindestens 30 Minuten, oder eine stärker belastende aerobe physische Aktivität an 3 Tagen in der Woche, mindestens für 20 Minuten. Die Angabe der Stärke der Aktivität kann man in sog. Metabolischen Aequivalenten errechnen, allerdings hat sich für die praktische Ausrichtung eines Ausdauertrainings an vielen sportmedizinischen Zentren, möchte man auf eine Lactatbestimmung oder weiterführende Diagnostik verzichten, die sog. Karvonen-Formel etabliert. Hierzu wird eine ausbelastende (!) Ergometrie auf dem Laufband oder Fahrradergometer durchgeführt, die u.a. den Maximalpuls unter Belastung bestimmt. Man subtrahiert dann vom Maximal- den Ruhepuls vor Belastung, vom resultierenden Wert wird 60 bzw. 70% genommen und zum Ruhepuls addiert. Dies ist der anzustrebende Pulszielwert beim aeroben Ausdauertraining.

- Flexibilität
Flexibilität oder Gelenkigkeit ist definiert als willkürlich möglicher Bewegungsbereich in einem oder in mehreren Gelenken; sie lässt bereits ab dem 25. Lebensjahr einen Rückgang erkennen. Selbstverständlich gibt es mechanische Faktoren der Begrenzung, unbeeinflussbare (Gelenkstruktur und Umfang der Muskelmasse) sowie beeinflussbare: Dehnungsfähigkeit des Muskels bzw. der Sehnen, Bänder und Gelenkkapseln sowie der Haut.
Im Karate wird je nach Zielsetzung eher dynamisch oder statisch gedehnt, zu beachten sind mögliche Überlastungen von bereits vorgeschädigten Strukturen.
Grundsätze sind die gründliche Erwärmung mit Lockerungsübungen, ein Einschleichen der Übungen („locker“) sowie die Erhöhung der Dehnwirkung mit zunehmendem Erwärmungsgrad. Karatespezifisch kann hier ähnlich den Karatetechniken gedehnt werden.

Historisch hat sich das Shotokan-Karate schon früh an sportwissenschaftlichen Methoden orientiert. Bereits 1949, bei Entstehung der Japan Karate Association, sollten die Karatetechniken gemäß der Erkenntnisse der modernen Sportwissenschaft modifiziert werden. Seitdem hat sich Karate schnell weltweit verbreitet und das Sportkarate sich an die internationalen Standards des Leistungssports angepasst. Selbstverständlich muss der Sport damit alle Anforderungen des modernen Breiten- und Leistungssports erfüllen, und es gibt in den Karate-Landesverbänden medizinische Kommissionen, die sich über Kaderuntersuchungen hinaus um eine medizinische Betreuung der Vereine bemühen.

Verletzungen im Karate
An der deutschen Sporthochschule Köln wurden sportstudentische Sport-Verletzungen über einen Zeitraum von 10 Jahren zusammengestellt; allgemein ergab sich hier eine Unfallhäufigkeit, nicht nach Sportart getrennt, von ca. 10% (5285 Verletzungen bei 54545 aktiven Sportstudenten). Über Kampfsportarten lagen in diesem Bezug keine Zahlen vor. Weit vorn lagen Geräteturnen (14,4%), Fußball (13,9%) und Krafttraining (12,9%) sowie Handball und Volleyball (10,9% bzw. 9,2%), zumindest die letzten Disziplinen Breitensportarten.

Bei allen Schwierigkeiten dieser Untersuchungen (Wegeunfälle gehen mit ein, kleine Verletzungen häufig nicht, etc.), lässt sich eines sagen:
Aus verschiedenen Untersuchungen – hier v.a. Versicherungs-Unfallstatistiken - ist bekannt, dass die Verletzungshäufigkeit bei Budo-Sportarten im Vergleich dazu relativ gering ist.
Untersucht man die sportartspezifische Verletzungshäufigkeit anhand von Unfallmeldungen (hier aus) 2 Jahren, bezogen auf die Zahl der gemeldeten Unfälle / 100 Sportler / Jahr, so liegen Volleyball und Handball bei 4,2 bzw. 2,9, die Budosportarten bei 1,7.
Und innerhalb der Budosportarten liegt Karate anhand einer Verletzungshäufigkeitsstatistik aus Rheinland-Pfalz (1981-1995) hinter dem Judo.

Verletzungen kommen hauptsächlich bei Wettkämpfen im Kumite (Freikampf) vor und hier v.a. im Shobu Ippon (Kampf ohne Faustschützer) und bei Männern. V.a. handelt es sich hier um Verletzungen im Kopf-Hals-Bereich, meist bei Fauststößen zum Gesicht.
Für Freizeitsportler, die regelmäßig in ihrem Verein trainieren, und für die Kata ist das Verletzungsrisiko hingegen relativ gering.
Zur Verletzungsprophylaxe lässt sich dieses noch einmal erheblich herabsetzen, indem ein aktives Aufwärmen betrieben wird. Dies verbessert im Nebenschluss auch die organisch,  koordinative und psychische Leistungsbereitschaft. Mitgebracht werden müssen in das Karatetraining ein Mindestmaß an körperlicher Ausdauerleistungsfähigkeit sowie eine an den Bedarf angepasste Ernährung. Selbstverständlich ist eine ausreichende Schutzausrüstung für das Kampftraining zu empfehlen, wobei diese die Kontrolle der Techniken nicht ersetzen kann.

 

Quelle:
Dr. Achim Witzel

Karate Dojo Radolfzell